Entfestung
Das Werk von Madeleine Dietz kreist seit vielen Jahren um die Fragen des Verhältnisses von Fragment und Ganzheit, von Stabilität und Labilität, von Erde und Stahl, von dem was Leben spendet und was Tod bringt. In einer Fülle von Arbeiten und Installationen ist sie den „Schichten in der Zeit“, den „Zeit-Räumen“ und den „Sedimenten“ in der uns umgebenden Kultur nachgegangen und macht diese den Betrachterinnen und Betrachtern neu bewusst.
Aktuelle Arbeiten von Madeleine Dietz handeln von Ent – festungen, von Aufbrüchen, Übergängen und Neuordungen. Die Ent-Festung unserer Existenz vollzieht sich seit Jahrhunderten. Anfangs betraf es nur die Stadtgrenzen, dann die Nationengrenzen und schließlich die privaten Häusergrenzen. Während die Menschen lange versuchten, sich in Häusern und Nationen einzurichten (‚Festung Europa‘), werden in neuerer Zeit alle Grenzen immer durchlässiger. Wir können zwar weiterhin verbal Festungen errichten, aber wir kommen nicht umhin, weltweit unsere instabiler werdende Existenz neu zu reflektieren.
Madeleine Dietz verleiht der Erfahrung
des Unbehaustseins und der Rückkehr zum Nomadischen einen künstlerischen Ausdruck.
Das Material ‚Stahl‘ scheint zunächst für Sicherheit, für Konstruktion und
Abgrenzung, für Undurchdringbarkeit zu stehen. Die künstlerische Schichtung der
Materialien, ihre an Instabilität grenzende Konstruktion verweist aber auch auf
die Brüchigkeit dieses Scheins. Die Objekte stehen im Weg, erzwingen Um-Wege,
schließen sich aber nicht mehr.
Madeleine Dietz schichtet Stahlplatten, wie ehedem ihre Erdstücke, zu einem Gebilde, das bei aller Solidität zugleich auch Züge von einem Fragment bekommt. Der Stahl wirkt nun vor-läufig, nicht mehr end-gültig. Er kann sich noch zu einem Kubus erheben, aber die Platten rundherum lassen die Gegenkräfte erkennbar werden. Das Ganze wird zu einem Objekt mit Entwurfscharakter, weil es jederzeit sich verändernden Gegebenheiten angepasst werden kann, so seinen Festungs-Charakter verliert und nomadisch erscheint. Die Erde wird als Erinnerung mitgeschleppt, denn „Wirklich daheim ist man nur, wo man die Toten auf dem Friedhof hat.“ (Alois Hotschnig)
Das ist unmittelbar politisch. Im Vergleich zu früheren Arbeiten von Dietz, die vom Ruinösen und Vergänglichem sprechen, treten nun Elemente des Übergangs und des Vorläufigen hervor. Wir sehen eine künstlerische Metapher: Gitter, Stahl, Erde gibt es weiterhin, aber sie sind nun reversible Elemente, sie sind ent-festet, Momente im Prozess von Aufbrüchen, Übergängen und Neuordnungen.
Andreas Mertin, Hagen