Frühe Arbeiten

Getrocknete, rissige Erde, Lehm, Torf, Leder, Hanf , Steine, Holz, aber auch verzinktes Stahlblech: Wenige, elementare Materialien bilden das künstlerische Vokabular der Madeleine Dietz – gebunden an nicht minder lapidare, archetypische Formen wie Kreis, Mandorla, Stab, Zylinder und Mulde. Nur scheinbar im Widerspruch zu solcher Kargheit stehen die mit leichter Hand gefertigten Skizzen, die dynamisch rotierenden Farbmassen der Dispersionsbilder. Denn Präzision ist auch ihnen eigen, ebenso wie eine nur eben gebändigte Dynamik den aufbrechenden, sich wölbenden oder kraterförmig sich öffnenden, dürstenden Oberflächen der Objekte und lnstallationen. Nicht erst deren Titel, ,,Leben geben“, verweist auf elementare, naturhafte Vorgänge. Die gewählten Materialien und Formen lassen Körperhaftes unmittelbar assoziieren, evozieren kaum verschlüsselt erotische Erfahrungen, stellen diese jedoch zugleich in einen größeren Zusammenhang: lst es nicht Lehm, aus dem ,,Adam“, der Mensch aus Erde, geformt wurde? Der Garten, der Kosmos, der bewahrende, schützende Behälter: Präzise, kühle, technoide Form umschließt die Erwartung von Wachsen und Werden, hält und stützt das Amorphe, bedingt die Kraft, indem diese zugleich gebändigt und gefasst wird. Madeleine Dietz gerät nicht in die gefährlichen Bereiche des lllustrativen, in denen künstlerische Autonomie zugunsten benennbarer Zielsetzungen aufgegeben würde. Zweifellos hat sie ein Anliegen, und sie vertritt es mit temperamentvoller Entschiedenheit: ln ihrem Leben wie in ihrer Kunst spannt sich ein überzeugender Bogen von der prägenden Authentizität ihrer Erfahrung als Frau zum kompromisslosen Plädoyer für Leben, Ehrfurcht und Verantwortung. Aber ihre Arbeiten gehen über eine solche Manifestation weit hinaus. Sie thematisieren die generelle Nähe von Kraft und Fragilität, von Vitalität und Gefährdung, und sie lassen sich so, gerade in ihrer künstlerischen Souveränität, als vielfältig auf Realität bezugnehmende Chiffren lesen, deren Deutung nicht trotz, sondern gerade wegen und in ihrer erotischen Dimension auf ein verantwortliches Miteinander und ebenso und in ihrer Begründung im genuin Weiblichen auf Menschliches schlechthin, auf das Humanum, verweist.

Oktober 1989 Hans Gercke
anlässlich der Ausstellung LEBEN GEBEN im Heidelberger Kunstverein 1989