Stiftskirche Landau 2017

Digitaldruck, Stahl, Gitterelemente, Erde

Kultur der Ruine
Andreas Mertin, Hagen

Die jüdisch-christliche Überlieferung hat eine ambivalente Haltung zum Haus und zur Behausung: „Gott“, so wird der Apostel Stephanus in der Apostelgeschichte zitiert, „wohnt nicht in von Menschenhänden errichteten Gebäuden“ und er bezieht sich dabei auf Jesaja 66: „Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße; was wollt ihr mir denn für ein Haus bauen oder was ist die Stätte meiner Ruhe? Hat nicht meine Hand das alles gemacht?“ Und auch eine der bis heute beliebtesten Geschichten der Christenheit, die Weihnachtsgeschichte, hält nachdrücklich an der „Unbehaustheit Gottes“ fest. „Sie hatten keinen Platz in der Herberge“ notiert Lukas. Entsprechend hat die Kunst dieses Geschehen oft in Ruinen und verlassenen Häusern unter offenem Himmel dargestellt. Als Albrecht Altdorfer 1511, wenige Jahre vor Martin Luthers Thesenanschlag, den Auftrag bekommt, die Geburt Christi darzustellen, da malt er ein Gemälde, auf dem man die Heilige Familie in dunkler Nacht mitten in den Resten eines zerstörten Hauses sehen kann.

Die Installation der Künstlerin Madeleine Dietz kann deshalb in einem doppelten Bezug wahrgenommen werden. Zum einen ist sie ganz aktuell auf das Geschehen der Gegenwart bezogen. Wir beobachten weltweit einen Zerfall staatlicher Ordnungen, der sich in Kriegen und gewaltsamen Auseinandersetzungen entlädt, wir begegnen den Flüchtlingen, die auf beschwerlichem Wege die Ruinen ihrer Heimatstädte hinter sich gelassen und zu uns gekommen sind  und natürlich dennoch die Bilder ihrer zerstörten Heimat im Kopf haben. Zum anderen bezieht sich Dietz mit ihrer Installation auf die Geschichte vom „unbehausten Gott“, der keinesfalls in Palästen residiert, sondern das zentrale Geschehen gerade in der ruinösen Niedrigkeit des Lebens geschehen lässt. In der Malerei der früheren Zeiten hat das Caspar David Friedrich um 1800 am deutlichsten zum Ausdruck gebracht, er zeigt Ruinen, die von der wuchernden Natur und damit vom Leben umfasst sind.

Auch das Werk von Madeleine Dietz kreist seit vielen Jahren um die Fragen des Verhältnisses von Fragment und Ganzheit, von Stabilität und Labilität, von Erde und Stahl, von dem was Leben spendet und was Tod bringt. In einer Fülle von Arbeiten und Installationen ist sie den „Schichten in der Zeit“, den „Zeit-Räumen“ und den „Sedimenten“ in der uns umgebenden Kultur nachgegangen und macht diese den Betrachterinnen und Betrachtern neu bewusst. Ihre früheren Interventionen in den Raum der Kirche etwa 1997 zur documenta 10 in der Martinskirche in Kassel‚ ‚besetzten‘ den zentralen Ort und ließen nach seiner Bedeutung fragen. In der Paderborner Abdinghofkirche schuf sie einen aus Erdschollen bestehenden Stufenweg zum Altar, der jede scheinbare Sicherheit erschütterte und nach den Grundlagen des Weges fragte.

Die aktuelle Installation konfrontiert den Besucher mit einer Fotoinstallation eines zerstörten Hauses, die unentrinnbar den Blick fesselt und den Betrachter in Frage stellt. Kann man sich das Geschehen, das zu dieser Ruine führte, vergegenwärtigen? Umgeben von den Geborgenheit andeutenden Mauern der Kirche wird man so auf die Vorläufigkeit all dieser nur scheinbar Sicherheit gebenden Strukturen verwiesen. Auch die Kirchenmauern sind nur vor-läufig, endlich, begrenzt. In einem gewissen Sinne greift Dietz hier ein bestimmtes Motiv Martin Luthers auf: Die Spannung des Wissens von der Vorläufigkeit unserer Existenz und der Hoffnung auf das „Ein feste Burg ist unser Gott“.